Alte Sitte und völkischer Artglaube
Warum sich Alte Sitte und Artglaube nicht miteinander vereinbaren lassen
Häufig ist nicht ganz klar, worin sich die Alte Sitte und der Artglaube unterscheiden und warum sich die Glaubensvorstellungen und Schwerpunkte beider Richtungen nicht miteinander vereinbaren lassen, sprich warum sie keine gemeinsame Linie bilden können. Gehen doch einzelne Anhänger sowie Außenstehende gelegentlich davon aus, daß es im Grunde um gleiche, oder zumindest ähnliche Bestrebungen ginge, eine am germanischen Polytheismus orientierte Götterverehrung zu praktizieren. Oberflächlich betrachtet führt das zu der Fehlannahme, daß Artglaube lediglich die völkische Version der Alten Sitte sei, beziehungsweise 'Asatru in völkisch' wäre. Diese Annahme ist grundlegend falsch. Und zwar nicht, weil es gerade ins zeitgenössische Bild paßt, sondern weil sich konkrete Unterscheidungsmerkmale aufstellen lassen, die kennzeichnend für die jeweilige Richtung sind.
Vorweg als kurze Begriffsklärung: Mit der Alten Sitte sind die auf Asentr.eu vertretenen Vorstellungen gemeint, die sich im Wesentlichen als Ausdruck eines inhaltlichen Minimalkonsens für das nichtvölkische Spektrum bezeichnen lassen. Wobei man auch noch mal zwischen "ethnisch" und "völkisch" unterscheiden muß und zwar in so fern, daß "völkisch" als Sammelbezeichnung eine Peripherie an weltanschaulichen Ideen und esoterisch geprägten Elementen mit sich bringt (Schwarze Sonne, Deutschchristentum "Christus kein Jude, sondern Arier", Atlantis, Verschwörungstheorien, Ufoglaube bzw. Reichsflugscheiben, ariosophische Vorstellungen usw.).
Wohingegen eine "ethnische Asatru" beziehungsweise Alte Sitte mit ethnozentrischer Prägung die Werte und Besonderheiten der eigenen Volksgruppe (Ethnie) hervorhebt, ohne jedoch teils skurrilste Vorstellungen im Schlepptau zu haben.
"Völkisch" und "ethnisch" lassen sich also keinesfalls synonym verwenden, sie unterliegen einer gewaltigen Bedeutungsverschiebung. Somit wäre es sinnvoll und treffend, im Fall einer Selbstbezeichnung lieber "ethnische Asatru" zu wählen, wenn man besonderen Wert auf die ethnische Komponente der Tradition legt, wie beispielsweise die amerikanische Ásatrú Folk Assembly (AFA).
Artglaube verwende ich als Begriff in der von Kusserow dargelegten Weltsicht (Heimkehr zum Artglauben Band 1,2,3). Natürlich ist mir klar, daß es ein weites Spektrum artgläubiger Gruppen und Individuen mit spezifischen Eigenheiten gibt, die sich im Einzelfall mal mehr, mal weniger mit der Alten Sitte überschneiden. Jürgen Rieger bildet an dieser Stelle ein passendes Beispiel: Als ehemaliger Vorsitzender der Artgemeinschaft und NPD-Politiker versuchte er durch die Domain asatru.de an neuere Strömungen anzuknüpfen. Bei genauer Betrachtung sind jedoch keinerlei Ansätze einer polytheistischen Götterverehrung erkennbar (siehe auch hier). Für den klassischen Artglauben nach Kusserow gilt dies ebenso. Daher werde ich versuchen, die eklatanten Unterschiede herauszustellen, warum sich Alte Sitte und Artglaube nicht miteinander vereinbaren lassen.
Im Grunde sagt es ja schon die Selbstbezeichnung. Wir haben auf der einen Seite den Artglauben, also den Glauben an die eigene Art (Rasse). Auf der anderen Seite die Alte Sitte, Ásatrú (die Asentreue, Treue zu den Aesir und Vanir), die ein religiöses Bindungsverhältnis zwischen Menschen und den Göttern der altnordischen Mythologie (den Asen und Wanen) bezeichnet. Alte Sitte wird heute weithin für die erneuerte vorchristliche einheimische Naturreligion verwendet. Ihr liegt ein polytheistisches Götterverständnis zugrunde. In der religiösen Praxis ist das Blót die Hauptritualform. Einzelne Götter werden angerufen, man spricht zum Beispiel "Heil Asen und Vanen, hohe heilige Götter. Euch zu Ehren erhebe ich das Horn. Mächtiger Donnerer, ich danke Dir für ..." gefolgt von einer Opfergabe.
Der völkisch-religiöse Artglaube ist überwiegend von der Motivation nach einer autochthonen, nicht durch Fremdeinflüsse verformten nationalen Glaubenslehre getragen, in deren Mittelpunkt nicht die Götterverehrung im Rahmen eines Opferrituals steht, sondern eine brauchtümliche Feier mit Gedichten, Ansprachen und Liedern. Im Vordergrund steht die gemeinsam erlebte Selbstvergewisserung, die Bestätigung des eigenen Selbstbildes der arteigenen, germanisch-heidnischen Identität. Ein typischer Ausspruch lautet beispielsweise "Heil unserer Art!" - der wohl kaum als Anrufung gedeutet werden kann, da jeder Bezug auf die Götter fehlt.
"Kraft und Stärkung erfährt das Individuum primär aus sich selbst heraus - ein expliziter Götterkult ist daher nicht erforderlich."
[Gründer, S.220]
Signifikant scheint auch die Unterscheidung in der Auslebung individueller Alltagsreligiosität, die folglich dem persönlichen Götterbild unterliegt. Im Gegensatz zur punktuellen Gruppenfeier werden in der Alten Sitte nicht selten auch individuelle Rituale zur Versicherung des göttlichen Beistands in den Alltag integriert oder Dankbarkeitsriten im Alleinsein praktiziert. Im völkischen (artgläubigen) Bereich hingegen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, dürfte darauf aus weltanschaulichen Gründen verzichtet werden. Dazu schreibt Gründer:
"Während rituelles Handeln in einem Falle als Ausdruck eines persönlichen Bedürfnisses verstanden wird, das schließlich zur Erlangung eines bestimmten religiösen Erfahrungswissens führt, ist der ritualisierte Vollzug bestimmter Handlungen im anderen Falle geradezu Ausdruck eines normierten Identitäts- und Rezept-Wissens."
[Gründer, S.108]
Es macht auch wenig Sinn, sich irgendwo allein in einem individuellen Ritual seiner "nordischen Art" vergewissern zu wollen. Das funktioniert nur im Eingebundensein einer Gruppe, in einem Gruppenerlebnis. Das muß ja nichts schlechtes sein, ich meine das keineswegs negativ oder gar spöttisch. Auch ein Blót lebt größtenteils von der Ästhetik und Atmosphäre des Gruppenerlebnisses. Allerdings muß man dazu sagen, daß man ein Blót eben auch im Alleinsein als Darbringung einer Opfergabe praktizieren kann. Und damit eine Handlung, die eine Differenz markiert zwischen religiös/kultischen und eher weltanschaulich/politischen Entwürfen.
Exkurs Schwarze Sonne
Die Schwarze Sonne findet im Kontext der Alten Sitte weder symbolische, noch inhaltliche Verwendung.
Als Vorbild des heute bekannten Symbols dient das Bodenornament im Obergruppenführersaal der Wewelsburg, die unter Leitung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler als Versammlungsort der SS umgebaut wurde. Später sollte die Anlage als zentrale Kultstätte für die neugeschaffene, artgemäße Religion ausgestaltet werden.
Die Schwarze Sonne ist samt ihrer Bedeutung ein künstliches Konstrukt NS-esoterischer Kreise um Karl Maria Wiligut. Zwar wird immer wieder behauptet, daß alemannische Zierscheiben wegen ihres ähnlichen Aussehens vermutlich als Vorlage gedient hätten, allerdings muß ich sagen, daß die Unterschiede in der Gesamtbetrachtung überwiegen. Was letztlich zu dem Resultat führt, daß sich keinerlei kulturhistorische Bezüge in germanische Zeit feststellen lassen. Damit bleibt die Schwarze Sonne ein Symbol, das hauptsächlich im völkischen Spektrum rezipiert wird und in der Alten Sitte aufgrund ihres vergleichsweise hohen, historisch-rekonstruktiven Anspruchs abgelehnt wird. Natürlich wird immer wieder versucht, die Symbolik mit verblüffender Kreativität zu platzieren, wobei man einigen Akteuren noch einigermaßen gutmütig Unwissenheit zugestehen mag. Anderen hingegen, und das dürfte auch der vorwiegende Fall sein, darf man guten Gewissens bewußte Absicht unterstellen, die Schwarze Sonne und ähnliche Symbole in ein breiteres, zumeist unbedarftes Umfeld transportieren zu wollen.
Quellen
Seiteninfo: 1.Autor: ING | 2.Autor: - | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!