Rezension Natur prägt Kultur
Natur prägt Kultur - Der Einfluß von Landschaft und Klima auf den Menschen: Zur Geschichte der Geophilosophie, München 2006
:Die grundlegende Vorstellung, daß der Mensch noch in einem anderen Verhältnis als der Selbstbehauptung zu seiner natürlichen Umwelt steht, gibt es im Abendland seit über 2000 Jahren. Dieser Gedanke eines Zusammenhangs von Mensch und Erde, den Reinhard Falter in seinem Werk als „Prägungstheorie“ bezeichnet, ist also, wie der Autor hervorhebt, keine Erfindung der Neuzeit, sondern so alt wie die Geschichtsschreibung. Falters Werk kann insgesamt als Geschichte dieser Theorie sowie insbesondere auch als Plädoyer für eine geistige „Wiederverwurzelung“ verstanden werden.
Im Zentrum der Geschichte dieser Auffassung, daß kulturelle Erscheinungen durch die Natur mitbedingt sind, steht neben gesellschafts- und zeitgeistkritischen Aspekten die Idee, daß der Mensch von der Landschaft, in der er lebt, geprägt wird. Und das nicht durch äußere Einflüsse wie etwa die Arbeitsbedingungen oder allgemein zweckgebundene Belange, sondern durch eine tiefere, innere Entsprechung. Das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen, durch die „leisen“, aber merklichen Wirkungen der Kindheitslandschaft bedingt, veranlaßt zur Thematisierung des wesentlichen Kerns des Begriffs „Heimat“. Denn aus den Überlegungen zur Beeinflussung des Menschen durch die Landschaft in der Weise, wie er in sie eingepaßt ist, wie er überhaupt in die Natur der Erde integriert ist, oder inwiefern Kulturen nur aus ihren unterschiedlichen landschaftlichen und klimatischen Voraussetzungen zu verstehen sind, läßt sich zurecht die Frage ableiten: Was wäre, wenn die Landschaft tatsächlich etwas anderes ist als bloß „subjektive Konstruktion“, wenn Mensch und Landschaft eben im Sinne einer Charakterprägung verbunden wären? Wäre es für ein solcherart geprägtes Menschsein womöglich abträglich, in Umwelten zu leben, die von anderen Menschen allein funktional auf angebliche Bedürfnisse hin gestaltet sind? In dieser Frage zeigt sich möglicherweise eine Vorstellung, die sich zum modernen Menschen- und Naturbild, nach dem der Mensch seiner Umwelt als Fremder gegenüber steht und sich von Bindungen freizumachen hat, in absolutem Gegensatz befindet.
Falter wurde nicht nur als „konservativ“ etikettiert, sondern sah sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, im naturfremden heimatlosen Modernisten ein gemeinsames „Feindbild“ mit den „Faschisten“ zu haben, obschon die von ihm vertretene Prägungskonzeption weder mit dem „Rassismus“ noch mit der Vorstellung einer „totalen Emanzipation“ zu vereinbaren sei, wie der Sozialwissenschaftler Ulrich Eisel hervorhob. Eisel betont auch die von Falter vielfach verteidigte Differenzierung zwischen Prägung durch Landschaft und Prägung durch „Blut“ bzw. Abstammung. Genau darin sieht Falter den grundlegenden Unterschied: Er führt den Leser souverän durch die im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten Positionen und legt ein Schwergewicht auf die Abgrenzung von ideologischen Verzerrungen („Blut und Boden“) und rassentheoretischen Vorstellungen von Theorien der Landschaftsgeprägtheit.
Antike
In der Antike, mit der Falter seine Untersuchung beginnt, zeichnet sich der Gedanke des Mensch-Erde-Zusammenhangs, etwa bei Herodot, gerade durch die Nichttrennung von Mensch und Natur in der Geschichtsschreibung aus, deren Gegenstand die Natur des Landes ebenso wie die Natur der Menschen ist. Damals ging der Mensch noch, wie Herodot selbst, vom Wirken der Götter aus, von waltenden Gottheiten als Grundcharakteren der Wirklichkeit. Heute sehen wir darin allenfalls reine Faktoren der naturwissenschaftlich verstandenen Landschaft.
Als landschaftlich gebundene Götter werden die Ortsnymphen, die Fluß- und Berggötter dargestellt, wobei Flüsse in der Antike und besonders nach römischer Auffassung eine natürliche und zugleich göttliche Grenze bildeten. Das mythische Bewußtsein nahm an, daß im Prinzip überall die gleichen Grundkräfte auf den Menschen einwirken. Es ist von daher naheliegend, Unterschiede in den Kulturen aus solchen der Umwelteinflüsse zu erklären, solange vom Grundkonsens der Erfahrungsreligion ausgegangen wird. In der erfahrungsreligiösen Weltauffassung werden dieselben Grundqualitäten sowohl in der Umwelt als auch in der eigenen Seelenlandschaft erlebt, Mars z.B. nicht nur im eigenen Zorn und dem Willen zur Selbstbehauptung, sondern auch im zähnefletschenden Tier und im vom Hochwasser angeschwollenen Wildbach. Die Erfahrungsreligion erkennt andere Weltanschauungen als notwendigen Ausdruck einer anderen Welterfahrung an.
Gegenstand der Geschichte ist also die Natur des Landes ebenso wie die der Menschen. Einheitliche Bezeichnungen, welche die göttlichen Grundcharaktere der Wirklichkeit in Landschaft und Seelenlandschaft gliedern, wurden allerdings in dieser Epoche kaum systematisch formuliert. Auch kann Herodots Aussage, „üppige Landschaften bringen schwache Völker hervor“, keineswegs als Fazit seines Werkes angesehen werden, zumal es sich auch um keinen wirklichen Schluß handelt und die Behauptung angesichts der Fülle der von ihm erzählten Beziehungen zu grob erscheint.
Das Corpus der Hippokratischen Schriften ist eine weitere wichtige Quelle, insbesondere die Schrift „De aere, aquis, locis“, da hier bereits versucht wird, den Zusammenhang physiologisch-kausal zu fassen. So habe die Trockenheit oder Feuchtigkeit der Luft eine leichtere oder schwerere Atmung, eine Erschlaffung oder Anspannung des Leibes zur Folge. Die Zusammenhänge wurden aber nur in sehr plakativer und allgemeiner Form weiter ausgeführt. So beschreibt Aristoteles in seiner „Politik“ die Völker der kalten Länder als voller Tatkraft aber ohne intellektuelle Reife und Kunstfertigkeit, während den Völkern Asiens solche Tatkraft fehle.
Neuzeitliche Rezeption des antiken Prägungsgedankens
Spannen wir einen Bogen über das Mittelalter in die Moderne. (Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch im arabischen Raum der Prägungsansatz weitergedacht worden ist und eine Untersuchung in Falters Werk erfährt.) In der Moderne kommt es zu einer Verschiebung des Aktivitätszentrums von der Natur auf den Menschen, wobei der Vorstellung von einer Prägung durch die jeweils abverlangte Arbeit eine vorrangige Wirkung zugeschrieben wird. Weiterhin kann festgestellt werden, daß die klimatische Wirkung gegenüber der landschaftlichen als überwiegend angesehen wird.
Bei Jean Bodin tritt der Gedanke auf, daß die Prägung nicht zuletzt über die Arbeitsweise stattfinde, die eine Landschaft ihren Bewohnern abverlangt. Er unterscheidet einen Einfluß der Nord-Süd-Lage, der Ost-West-Lage, einen der Gestaltung des Landes, des Verhältnisses zwischen Natur und Geist und den Einfluß der Gestirne. Eine stärkere Wirkung wird Hitze und Kälte zugemessen, auch durch die Gegenwirkung innerer Hitze, auf die sowohl die hellen Augen als auch der größere Durst der Nordvölker zurückgehen sollen. Unfruchtbarkeit des Bodens führt angeblich zu Nüchternheit der Gesinnung, wobei Küstenbewohner jedoch intellektuell beweglich und händlerisch tätig seien. „Verpflanzt man ein Volk in ein anderes Land, so wird es sich am Ende auch verändern, mag dies auch nicht so rasch geschehen wie bei Pflanzen, die ihren Saft aus der Erde ziehen.“
Es handelt sich bei der Prägung nach Bodin allerdings nicht um eine Determination, bei welcher der Mensch in seinem Willen durch äußere oder innere Ursachen gänzlich bestimmt und unfrei sei, erst recht nicht auf der individuellen Ebene, denn es „finden sich in allen Ländern Menschen jeglicher Gemütsart.“ Die spezifischen Eigenheiten sind grundsätzlich wandelbar, wenngleich die Natur schwer zu überwinden ist.
Das größte Werk des 18. Jahrhunderts, das sich in diesem Zusammenhang primär mit der Wirkung von Landschaft und Klima beschäftigt, stammt von William Falconer und wurde 1782 von Hebenstreit unter dem Titel „Bemerkungen über den Einfluß des Himmelsstrichs, der Lage, natürlichen Beschaffenheit und Bevölkerung eines Landes etc.“ ins Deutsche übersetzt. Es überwiegt auch bei ihm die klimatische Wirkung gegenüber der landschaftlichen. Sehr stark herrscht die Vorstellung von einer Prägung durch die jeweils abverlangte Arbeit vor. Ideen etwa zur Wirkung von Flüssen sucht man vergebens. Allenfalls wird der Wirkung von Luftfeuchtigkeit eine „gewisse betäubende Wirkung“ zugeschrieben. Deutlich zeigt sich die aufklärerische Tendenz zur universalen Trockenlegung in der Bemerkung, daß „so oft Nationalausbildung und Anbauung des Landes gleichen Schritt halten, indem durch letztere der Boden ausgetrocknet und solchergestalt die Luft von überflüssiger Feuchtigkeit befreiet wird.“ Deutliche Beziehungen lassen sich zu Hippokrates und Aristoteles feststellen.
Als ein Grundschema erkennt man die auf Hippokrates zurückgehende Lehre von der Überlegenheit der gemäßigten Regionen: Heißes Klima und allzu üppiger Boden machen träge. Dort bilden sich Religionsformen mit aufwendigem Kultus, die den Menschen helfen, ihre „Freizeit“ sinnvoll zu gestalten. Auch sonst wird Religion funktional interpretiert. Kaltes Klima führt zu Verstocktheit, und allzu große Kargheit läßt den Menschen keine Zeit für Geistiges, wobei ganz im Sinne der Aufklärung die Arbeitsamkeit hoch gewertet wird. Im 18. Jahrhundert bildet sich aber auch die Vorstellung einer individuellen Wirkung von Landschaft auf den Menschen aus. Literarische Gestalten wie St. Preux und Goethes Werther fliehen in eine Natur, in der sie Widerhall oder Besänftigung ihrer Gefühle erwarten.
Romantik und Historismus / Spätromantik
Der entscheidende Schritt in der Klimalehre geschieht durch die Ausbildung des Historismus. Dessen Wegbereiter Johann Gottfried Herder hebt die strikte Trennung zwischen Natur- und Geistesgeschichte auf und stellt sich dabei in die Tradition Herodots. Für ihn geht es bei der Prägung des Menschen durch Klima und Landschaft nicht nur um eine Theorie, sondern um ein der menschlichen Wirklichkeit entsprechendes Lebensgefühl: daß er nämlich sein Leben nicht aus sich selbst, sondern von den Elementen hat. Die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung setzt am Wechselspiel von seelischem Kern und Umwelteinflüssen an. Die Umwelteinflüsse werden nicht als unabhängige Größe, sondern als das, was sich am beeinflußten Individuum zeigt, aufgefaßt. Das ist eine Weiterführung der Signaturenlehre, die auch einer Pflanze die sie konstituierenden Einflüsse ansieht.
Die Romantik und genauer wohl erst die Spätromantik führt zu einer Sichtweise, welche Geschichte nicht mehr lediglich als eine Folge von Ideen und Taten, sondern mehr als eine von Geschlechtern betrachtet, wobei man in allen abendländischen Konzeptionen des Zusammenhangs von Mensch und Erde bis zur Romantik einseitig von der bewußten Wahrnehmungswirkung ausging oder sich nur in der Region der kausal faßbaren physiologischen Wirkungen bewegte. So schreibt noch Goethe: „Wer sein Leben lang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müßte ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich erginge. Nur muß man bedenken, daß die Menschen im Allgemeinen nicht so sensibler Natur sind als wir anderen, und daß sie im Ganzen kräftig vor sich hingehen, ohne der äußeren Eindrücken soviel Gewalt einzuräumen. Aber soviel ist gewiß, daß außer dem Angeborenen der Rasse sowohl Boden und Klima als Nahrung und Beschäftigung einwirkt, um den Charakter des Volkes zu vollenden.“
Wichtigster Fortsetzer Goethes in dieser Hinsicht ist der Arzt, Landschaftsmaler und Naturforscher C.G. Carus, der bei den Auswirkungen von Boden und Klima auf den Menschen zwar recht allgemein bleibt, aber bereits die wachsende Künstlichkeit der Umwelt problematisiert und die romantische Natursehnsucht als Gegenbewegung sieht. Ähnlich auch Wilhelm Heinrich Riehl, der zwar keine sehr detaillierte Theorie landschaftlicher Prägung entwickelt hat, aber sich in Deutschland für das eingesetzt hat, was in der amerikanischen Diskussion wilderness heißt: „Wie die See das Küstenvolk in seiner rohen Ursprünglichkeit frisch erhält, so wirkt gleiches der Wald bei den Binnenvölkern. Weil Deutschland so viel Binnenland hat, darum braucht es soviel mehr Wald als England.“ Riehl geht es nicht um ein ästhetisches Erlebnis, sondern der Wald repräsentiert für ihn ein aristokratisches Element und erschafft es zugleich auf der seelischen Ebene.
Eine Fundgrube sensibler Erkenntnisse von Resonanzen zwischen Individuum und Natur bietet Friedrich Nietzsche z.B. in seinem Werk „Ecce Homo“, in dem er „Ernährung, Ort, Clima, Erholung“ als wichtiger für die Entwicklung eines Denkers bezeichnet als alle geistigen Einflüsse. Die Prägung bleibt bei ihm jedoch selbstverständlich immer etwas an den Genius Herantretendes; niemals wird dieser von ihr hervorgebracht.
Die Grundlagen der klassischen – antiken bis frühneuzeitlichen – Konzepte bilden in einer zusammenfassenden Betrachtung Falters die Schwelle zur Moderne. Er gibt dabei zu bedenken, inwieweit Bedeutungs- und Kausalzusammenhänge voneinander zu unterscheiden sind, und führt an, daß hinsichtlich der Prägung des Menschen durch die Landschaft nicht nach kausalen Zusammenhängen gefragt wird, sondern danach, was es für einen Menschen bedeutet, in einer Landschaft zu leben. Auch in unserer heutigen Welt ist das meiste nicht gegenständlich faßbar, was der neuzeitliche Mensch gerne verdrängt – wobei jedes Wirken der Götter so zu denken ist, daß nur das wirkt oder trifft, was paßt. Grundsätzlich sind Reduktionismus (dogmatischer Wissenschaftsglauben) und Rationalität auseinander zu halten, denn die reduktionistische Wissenschaft der Neuzeit ignoriert qualitative Verschiedenheiten.
Eine Schlüsselfigur in der akademischen Geographie der zwanziger und dreißiger Jahre ist Ewald Banse, der den künstlerischen Aspekt der Geographie bei der Erfassung des prägenden Charakters einer Landschaft betonte, indem er zwischen Anschauungslandschaft und Erlebnislandschaft als optischen und seelischen „Kraftgrößen“ unterschied. So sehr Banse überzeugter Verfechter einer nationalen Revolution und Verehrer alles Nordischen war, ist seine Position doch keine völkische. Von den nationalsozialistischen Machthabern erfuhr er auch wenig Zuwendung. Demgegenüber bringt Moritz Durach die nationalsozialistische Position auf den Punkt, wenn er schreibt: „Nicht der Raum gestaltet das Volk, sondern das Volk gestaltet den Raum nach seinem Innbild.“ Das entspricht der aktivistischen Auffassung des Nationalsozialismus, die sich von der konservativen, der Banse zuzuordnen ist, abhebt. Im Gegensatz dazu beruft sich der Geograph Hans Schrepfer für seine Ablehnung eines unmittelbaren Einflusses der Landschaft auf Hitler: „Immer ist die innere Veranlagung der Völker bestimmend für die Art der Auswirkung äußerer Einflüsse.“ Daraus folgt, daß die charakterbildende Wirkung von Räumen nur noch für die regionalen Gliederungen eines Volkes maßgeblich wäre. An dieser Stelle bildet sich eine ideologische Grenze, an die Banse mit seiner Theorie der Prägung des Menschen durch landschaftliche Faktoren stößt, denn die Beeinflussung durch Landschaft entspricht einer anderen theoretischen Haltung als die Prägung durch „Rasse“. Die eigentlichen Vordenker des Nationalsozialismus sehen hingegen immer die Rasse als das Prägende und die Landschaft als das Geprägte an. Die Formel „Blut und Boden“ mag somit für den unbedarften Hörer leicht nach einer Gleichrangigkeit beider Komponenten klingen. Um völkisch-aktivistische oder nationalsozialistische von konservativ-romantischen Intentionen unterscheiden zu können, sind stets die jeweiligen Konzepte kritisch zu hinterfragen. Es ist daher notwendig, die grundlegenden Differenzen zwischen Prägung durch Landschaft und Prägung durch „Blut“ hervorzuheben, wie Falter detailliert und sorgfältig dargelegt hat.
Falters Untersuchung, deren Schwerpunkte die Ideengeschichte des Gedankens landschaftlicher Prägung, die soeben erwähnte Abgrenzung rassentheoretischer Positionen sowie die Formulierung einer fundamental-europäischen Antwort auf die Globalisierung bilden, liefert einen nahezu unerschöpflichen Fundus an Wissen und Erkenntnissen philosophischer, historischer, geschichtlich-kultureller und kritisch-politischer Art und fragt danach, wie in dem Konzept einer Prägung des Menschen durch die ihn umgebende Natur ein Ausweg aus der Scheinalternative von naturalistischem und soziologischem Reduktionismus zu finden ist. Diesen deutet Falter in einer Neuformulierung des klassischen Paradigmas von der Bodenprägung – der Erdentstammtheit wie er sagt – an. Der heutige Mensch erkennt sich nur noch innerhalb der Kategorien eines durch und durch technisierten Zusammenhanges, dem er weder entfliehen kann noch will. In einem Alltag der Verzweckung geht letztlich jede innere Beziehung zur Landschaft verloren, jede Naturverbundenheit und Naturunmittelbarkeit, deren Wahrnehmung in der Erfahrung von etwas Zweckfreiem fundiert ist, dessen Wesen wir nur in einem Akt der Bejahung finden.
„Ein letzter Rest solchen Wissens um die tiefere Erdgebundenheit des Menschen findet sich 1904 noch bei dem ersten Vorsitzenden des Bundes Heimatschutz [Paul Schultze-Naumburg], wenn er schreibt: ‚Aber es wird eine Zeit kommen, in der man erkennt: der Mensch lebt nicht von Pferdekräften und Werkzeugen allein. Es gibt Güter, die er daneben nicht entbehren will und kann. […] Denn wenn der Mensch alles gewonnen hätte, was sich mit seiner Technik gewinnen läßt, dann würde er zu der Erkenntnis kommen, daß das so maßlos erleichterte Leben auf der entstellten Erde eigentlich nicht mehr lebenswert ist, daß wir zwar alles an uns gerissen, was unser Planet herzugeben hatte, daß wir aber bei dieser Wühlarbeit ihn und uns selbst zerstört haben’.“ (Falter, S.10f.)
Falters Reise durch die Geschichte der Prägungstheorien ist ein rundum gelungenes Werk, das viele Informationen und neue Erkenntnisse für jene Leser zu bieten hat, die es genau wissen wollen. Auch wenn es für die heute noch einigermaßen gefühlssicheren, d.h. nicht technokratisch verbildeten Menschen womöglich zu viel geistesgeschichtliches Wissen voraussetzt, wie Falter in der Einleitung selbst feststellt, wird das Buch gleichermaßen begeistern wie provozieren.
Seiteninfo: 1.Autor: ING | 2.Autor: - | Weitere Autoren: - | Stand: Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!