Rezension Uthark
Uthark - Im Schattenreich der Runen - Ein magisches Praxisbuch; Engerda (Arun), 2003
(John William Daly, Übersetz.):Wenn mich ein Buch interessiert (oder ich eine Rezension zu schreiben habe), versuche ich gerne
zunächst etwas über den Hintergrund des Autors zu erfahren. Über Thomas Karlsson
erfährt der Leser, daß er den magischen Orden "Dragon Rouge" gegründet hat, der so
außergewöhnlich klingende Arbeitsgebiete wie "typhonische Al-Khemy, die qliphotische Qabalah,
LHP-Tantra und odinistische Runosophie" (S. 157) hat. Die odinistische Runosophie hätte ich
jetzt im Anschluß an die vorhergehende Aufzählung nicht mehr erwartet, aber sie zeigt,
daß ich hier kein gewöhnliches Runenbuch zu erwarten habe, sondern eines, das im Rahmen
der Interessengebiete des Autors etwas weitschweifiger ist.
Erwartungsgemäß führt uns Karlsson auch nicht in das Ältere Futhark ein, das
sich als Quasi-Standard in der heidnischen Szene etabliert hat, sondern in eine spekulative
Abart, bei der die erste Rune, Fehu, an den Schluß gesetzt wird. So wird das Futhark zu
einem Uthark - für Karlsson Synonym der verborgenen und dunklen Seite der Runenreihe. Die
Theorie stützt sich auf den Runenstein von Kylver und die Spekulationen des schwedischen
Professors Agrell, der glaubt, es handele sich bei der Versetzung von Fehu ans Ende der
Runenreihe um einen "kryptographischen Trick", der es anderen "unmöglich macht, die richtige
Anordnung der Runen zu erkennen" (S. 28).
Bei der Lektüre stellt man jedoch schnell fest, daß die Uthark-Theorie nicht so dominant
im Buch ist, wie der Titel es vermuten läßt. Der Autor macht mehrfach deutlich, daß
er mit ihr kein Dogma verkünden will - er überläßt dem Leser, über Sinn
oder Unsinn dieser Deutung zu urteilen. "Das Uthark ist eine magisch potente Verson der Runenreihe.
Auch wenn ihre historischen Wurzeln strittig sind, so korrespondiert sie doch mit der Sprache und
Mythologie der altnordischen Kultur." (S. 29)
Die Bedeutungen der 24 Runen werden klar und präzise erläutert - vorbildlich! Doch es
wäre nicht das Runenbuch des Dragon-Rouge-Gründers, wenn nicht schon vor der Vorstellung
der einzelnen Runen eine Einführung in die Numerologie stattfinden würde. Diese wird
auch zur Unterstützung der Uthark-Theorie angeführt: die verbreitete magische
Formel ALU ergibt nach Uthark-Zählung den Zahlwert 24 und enhält somit die komplette Runenreihe,
also alle 24 Runen. Das verblüfft und regt zum Nachdenken über diese Theorie an.
Karlsson geht im zweiten Drittel des Buches etwas vom Runenthema weg und behandelt ausführlich
die Welten der nordischen Mythologie, Farbenschemata, Seelenvorstellungen, Formen nordischen Zaubers
(Seidhr, Utiseta, Galdr), um dann über die Vorstellung eines einfachen Rituals wieder zu den
Runen zu kommen: Runenyoga, Runenorakel. In all diese Kapitel streut der Autor kulturkreisfremde
Zusätze ein, so etwa, wenn Mimirs Brunnen mit der "Chronik von Akasha" verglichen wird; er
fügt spekulative Eigenschöpfungen ein, so die Vorstellung, daß Hel(drasil) das
dunkle Gegenstück zu den 9 Welten Yggdrasils sei und weitere 9 Welten beherberge oder er
deutet die Mythologie recht eigenwillig aus, wenn er z.B. schreibt, die Menschen seien nicht von den
Göttern erschaffen worden, sie hätten bereits vorher in Gestalt von zwei
Baumstämmen existiert (S. 67). Viele dieser Aussagen sind für einen an traditionell-germanischer
Religion interessierten Menschen etwas schwer verdaulich ("Baumkulte" als einer der "wichtigsten
Bestandteile des nordischen Glaubens" (S. 75); die Vorstellung, daß Teile der Seele nach
dem Tod eines Menschen in einen Baum übergehen (ebenda.); die unbelegte Aussage, daß
Runen mit einer Mischung aus Sperma und Menstruationsblut "aufgeladen" wurden (S. 79) usw.).
Man würde dem Autor jedoch Unrecht tun, wenn man das Werk vor diesem Hintergrund verurteilen
würde. Was Karlsson in diese 150 Seiten gepackt hat, sucht man derart konzentriert und
präzise vorgestellt in vielen anderen Werken vergeblich. Man muß sich auf die
Weltsicht des Autors einlassen können - dann werden die Spekulationen über
Odrörir, den Dichtermet, und seine Verknüpfung mit dem Gralsmythos genauso
interessant wie die abschließenden Darlegungen zu den Verbindungen der esoterischen Runenkunde zur Kabbala.
Dragon Rouge, der Orden, beschäftigt sich mit der dunklen Seite der Magie. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Buch zu verstehen. Odin und Hel werden als zentrale Persönlichkeiten für diese Erforschung des "Helvegr" gesehen - Odin lehrt uns, im Dunkeln zu suchen, und Hels Reich ist eben dieses dunkle Reich. So kulminiert das Buch in der Ausdeutung der Uthark-Runenreihe als Helweg, also magischer Einweihungsweg - hinab in die Tiefen Hels und mit neuem Wissen wieder zurück. "Wenn wir es Odin gleich tun und in die Abgründe blicken, können wir in der dunkelsten Finsternis Erleuchtung finden." (S. 154)
Uthark ist ein singuläres Phänomen in der Runenbuchlandschaft, zweifelsohne aber eine große Bereicherung. Wer sich von der synkretistischen Sichtweise des Autors nicht abschrecken läßt, kann für jede wie auch immer geartete Beschäftigung mit den Runen wertvolle Anregungen mitnehmen. Ein sehr lesenswertes Buch!
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!