Überlegungen zu den Grundbedingungen eines Blót im Sinne der Alten Sitte
Wann bin ich Asatru? Wann ist ein Ritual ein Blót der Alten Sitte?
Fragen, die sich früher oder später wahrscheinlich jeder einmal stellt, in dieser oder ähnlicher Form. Gelegentlich liest man auch in öffentlichen Foren davon. Und genaugenommen hängen beide Fragestellungen sogar untrennbar miteinander zusammen.
Zunächst ist der Begriff Ásatrú eine Wortschöpfung (Synonyme sind Asatro, Asetro), der in der skandinavischen Nationalromantik des 19.Jahrhunderts geprägt wurde und das Treueverhältnis (trú, tro) zwischen Menschen und den Göttern der altnordischen Mythologie (den Aesir und Vanir) bezeichnet. Demnach ist man den Asen und Vanen treu, wenn zwischen ihnen und mir ein beiderseitiges Treueverhältnis besteht. Beiderseitig meint, daß ich Gutes von den Göttern erfahre und ihnen dafür Dank und Verehrung entgegenbringe. Es entsteht ein religiös erlebtes Austauschverhältnis mit den Göttern. Ich kann sie im Vorwege auch um etwas bitten, zum Beispiel um Gesundheit für einen Verwandten oder ein positives Bewerbungsgespräch. Beides geschieht im Blót.
Blót ist das altnordische Wort für Opfer. Unter der Opferhandlung versteht man die (Rück-)Gabe etwas Wertvollen, etwa aus Dank oder Bitte. Im Opfer lasse ich los, was ich besitze. Ich sage also nicht, daß ich an die Götter glaube, sondern daß ich sie ehre, daß ich sie verehre, indem ich ihnen opfere. Opferst du den Asen und Vanen, bist du ihnen treu.
Nun stellt sich aber die Frage, was ein Opferritual überhaupt ausmacht. Wenn ich den Ablauf einer Feier vor mir habe, kann ich fragen, ob es sich überhaupt um ein Opferritual handelt, oder ob es von ganz anderen Motiven geleitet wird. Eine rituelle Handlungsweise muß ja nicht zwangsläufig der Verehrung von Göttern dienen, die mit entsprechenden Opferhandlungen einhergeht, sondern kann selbstverständlich ebenso feierlich-weltlicher Art sein. Rituale begegnen uns auch in nichtreligiösen Zusammenhängen. Sprechen wir hingegen von einem Blót, so weisen wir damit explizit auf einen religiösen Charakter hin – und zwar auf ein Opferritual im Sinne der Alten Sitte. In diesem Zusammenhang sind die beiden erstgenannten Fragen verhältnismäßig elementarer Natur, weil sich sagen läßt: Das Blót ist das Herz der Alten Sitte. Im Blót spiegelt sich das Verhältnis zu den Göttern wider. Rückt diese Vorstellung aus dem Fokus eines Rituals, sollte man zurecht abwägen, ob es sich noch um ein Blót handelt oder nicht. Hier ließe sich die Frage „Asatru sein oder nicht sein“ leicht beantworten.
Um zu verdeutlichen, was ich damit meine, werde ich einige Punkte aufstellen, an denen sich ein Blót erkennen und abgrenzen läßt. Wann ist ein Ritual ein Opferritual und wann folgt es eher brauchtümlichen, ja rein feierlichen Zwecken?
Wer meinen Text liest, möge bitte im Auge behalten, daß es sich um einen Versuch handelt, der das Ziel verfolgt, eine brauchbare und praxisnahe Antwort zu erhalten, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um von einem Blót im Sinne der (hier vertretenen) Alten Sitte zu sprechen. Welche Grundhaltung stellt ein Blót überhaupt an mich? Dabei sei erwähnt, daß ich selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder universelle Gültigkeit erhebe. Und da sich der Text unter anderem mit dem eigenen Standpunkt in Bezug auf die Existenz von Göttern beschäftigt, ist es nachvollziehbar, daß sich die eigene Meinung nicht unbedingt mit meinen Aussagen decken muß.
Um den Anfang etwas aufzulockern, zunächst die saloppe Feststellung:
Ohne Götter kein Blót, ohne Blót aber Götter.
Was soll das bedeuten? Als kleinsten gemeinsamen Nenner nehmen wir folgendes an: Wer keine Götter hat, wird auch keinen opfern. Völlig einleuchtend, berührt aber nicht die Frage, ob Götter tatsächlich existieren oder nicht. Von hochtheoretischen Abhandlungen losgelöst, klärt diese Frage im Grunde genommen jeder für sich selber. Und die eigene Antwort – Götter ja, Götter nein – bildet die elementarste Voraussetzung der Alten Sitte. Ihr Kern ist das Blót, die rituell eingebundene Opferhandlung, durch die ich mit den Göttern interagiere.
Etwas scherzhaft läßt sich dies folgendermaßen interpretieren:
Existieren Götter?
Die Frage klingt banal, fast schon zu einfach. Aber sie beinhaltet zwei wesentliche Merkmale: Die Existenz, also das reale Dasein von etwas und Götter (Plural).
Götter sind hier die Asen und Vanen. Wer somit davon ausgeht, daß die Asen und Vanen nicht existieren, wird ihnen selbstverständlich auch kein Opfer entgegenbringen. Wer hingegen das Bedürfnis hat, den Asen und Vanen etwas zu opfern, versucht mit ihnen in Beziehung zu treten. Eine Grundbedingung ist also, daß ich sie mir - in welcher Form auch immer - als real existent vorstelle. Daß ich ihre Existenz nicht bezweifle oder in Frage stelle, ungeachtet der Tatsache, daß ich ihre Anwesenheit nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden nachweisen kann. Eine Opferhandlung vorzunehmen oder an einer teilzunehmen, setzt klar voraus, daß ich eine konkrete Vorstellung davon habe, was ich tue und warum ich es tue. Damit verbunden, daß ein Bild von den Göttern vorliegt. Es hängt grundsätzlich von der eigenen Haltung und der daraus resultierenden Handlung ab.
Ein Blot im Sinne der Alten Sitte stellt fünf einfache Grundbedingungen an mich:
- Meiner Anschauung liegt ein polytheistisches Gottesverständnis zugrunde.
- Ich bin von der Existenz göttlicher Mächte überzeugt (beinhaltet, daß ich eine Vorstellung von ihnen habe).
- Ich verspüre das Bedürfnis, ihnen etwas entgegenzubringen, das mir wichtig und wertvoll erscheint.
- Ich beabsichtige, durch das Opfer mit ihnen in Verbindung (Interaktion) zu treten.
- Ich werde das Opfer wiederholen, um den Bund zwischen den Göttern und mir zu erhalten.
Sind diese Bedingungen erfüllt, läßt sich aus meiner Erfahrung guten Gewissens von einem Blót im Sinne der Alten Sitte sprechen.
"Gottheiten zeigen sich uns in der Erfahrung der Natur, in der Begegnung im Kult, in den Mythen, die ihre Persönlichkeit durch ihre Taten enthüllen, und auf manche andere Weise, z.B. Visionen und Träumen. Man kann sie als wirklich und gegenwärtig erleben, doch mit dem Verstand nur begrenzt begreifen. Daher zeigen sie sich uns in Gestalten, die unserem Wahrnehmungsvermögen entsprechen. Die Götter, die uns die Mythen „menschengestaltig" beschreiben, sind keine Menschen, aber sie teilen mit uns ganz wesentliche Eigenschaften: Sie besitzen Persönlichkeit, Gefühle und Urteilsvermögen, und man kann mit ihnen kommunizieren.
Das traditionelle germanische Heidentum ist eine polytheistische Religion, die in den Göttern keine „Aspekte" einer abstrakten Göttlichkeit sieht, wie es manche esoterischen Lehren tun, die Vielfalt ihrer Persönlichkeiten nicht auf spekulative Phantome wie „den Gott und die Göttin" reduziert und sie schon gar nicht als „Archetypen" psychologisiert oder zu bloßen Symbolen herabwürdigt. Götter und Göttinnen existieren tatsächlich und sind konkrete persönliche Wesen mit individuellen Persönlichkeiten. Die Natur ist vielfältig und besteht aus verschiedenen Wesen und Dingen – daher sind auch die Götter, die in ihr sind, verschieden und vielfältig."
Quelle: Verein für Germanisches Heidentum, Fritz Steinbock, abgerufen 28.06.2013 [http://www.vfgh.de/data/te_2.asp?MLEVEL1=21&MLEVEL2=20&MLEVEL3=10]
"Ich glaube, daß die Asen und Wanen lebendige Gottheiten sind, die sich vor dem Beginn der Zeit aus Ginnungagap erhoben und seitdem über die neun Welten geherrscht haben und das bis Ragnarök auch weiterhin tun werden - egal ob die Menschen an sie glauben oder nicht."
Ásatrú - Die Rückkehr der Götter, Hér stend ek, S.140
Ein Blót - wie geht das?
In der Asatru gibt es kein zentralisiertes Kultwesen, also nichts von der Stange. Jeder muß seinen eigenen Weg finden. Es gibt aber ganz einfache Beispiele, die sich auf's Wesentliche konzentrieren und leicht (auch allein) durchführen lassen. Beispielsweise als Inspiration für das erste, eigene Blót. Dazu gehört: Das Metopfer - Götterehrung der Alten Sitte.
Abgrenzungen
In der Alten Sitte zielt das Verständnis vom Göttlichen auf keine übergeordnete Kraft, sondern auf ein Pantheon traditioneller Gottheiten, den Aesir und Vanir. Nach der Mythologie bilden sie die höchsten schöpferischen, ordnenden und formenden Daseinsmächte, die keinem weiteren göttlichen Wesen unterstehen. Über allem steht nur das Urgesetz (Ørlœg, Urlag), welches nicht als übergeordnete Gottheit, sondern als universell gültige Gesetzmäßigkeit zu verstehen ist. Die altgermanischen Göttinnen und Götter sind, wie wir Menschen, an die bestehende Weltordnung gebunden.
Die Alte Sitte, wie sie hier vertreten wird, orientiert sich an diesen und den weiter oben beschriebenen Grundvorstellungen. Andere Vorstellungen können von diesen Punkten unterschieden werden. Zwei prägnante Beispiele wären hier die Artgemeinschaft (nach Kusserow, Rieger), die bekannterweise immerhin die Domain asatru.de blockiert (mit Asatru aber nichts am Hut hat) und die Sichtweise, nach der alle Gottheiten im Grunde genommen auf ein monotheistisches Religionsmodell reduziert werden können.
Anmerkung: Es geht an dieser Stelle nicht um den moralischen Zeigefinger oder einer Wertung nach politisch korrekten Maßstäben, sondern allein um die Frage, was die erwähnten Grundvorstellungen von der hier vertretenen Alten Sitte unterscheidet bzw. ob sie zu einem polytheistischen Opferritual führen oder nicht.
a) Abgrenzung zur Sichtweise, alle Gottheiten reduzieren sich auf ein monotheistisches Modell
b) Abgrenzung zur Sichtweise der Artgemeinschaft (nach Kusserow, Rieger)
Seiteninfo: 1.Autor: ING | 2.Autor: - | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!