Magie
"Im alltäglichen Leben ist die Magie bedeutsamer als die Religion.
Jedenfalls bekommen wir aus der Sagaliteratur den Eindruck, daß
der Götterglaube im Hintergrund steht und nur an den hohen
entscheidenden Lebensabschnitten in Erscheinung tritt. Sonst geht
der nordische Mensch seinen eigenen Weg und schlägt sich durch,
ohne die Hilfe der Götter zu beanspruchen. 'Besser nicht gebetet
als zuviel geopfert' sagt ein Hávamálspruch (Str. 145)
und in diesen Worten liegt eine tiefe Lebenserfahrung: es kann
dem Menschen leicht gefährlich werden, wenn er zu oft in eine
nähere Berührung mit dem Göttlichen tritt. Der Mensch soll versuchen,
allein mit seinen eigenen Kräften auszukommen und kann sich im
Notfall durch die von der Magie ihm bereitgestellten übernatürlichen
Kräfte weiter helfen. Man wäre versucht, mit überscharfer
Formulierung zu sagen, daß im Leben des Alltags für die Götter
wenig Platz ist ... Auf einer breiten Basis magischer Gepflogenheiten erhebt sich der
Kult der heidnischen Götter. Zu ihnen steigt man nur empor in
den Augenblicken, da man sich über das Alltagsleben hinaus in
eine höhere Lebensphäre versetzen will."
Jan de Vries
Was ist Magie?
Magie ist - wie im Vries-Zitat angeklungen - von Religion zu trennen. De Vries erklärt Religion als das "Sich-in-ein-Verhältnis-zu-höheren-Mächten-Setzen". Mit diesen Gottheiten steht der Mensch in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Man opfert, um sich der Hilfe und Unterstützung der Götter zu versichern. Bei der Magie aber greift der Mensch selbst nach der Macht, weil er das Gefüge des Lebens zu erkennen glaubt und meint, er könne mit verschiedenen Mitteln darin eingreifen. Wichtig ist, daß die germanische Magie nicht wie die orientalische mit Göttern oder Dämonen arbeitet. Der germanische Magier verstand die Mechanismen der Welt als eine Art Automatismus (nach Oertel), den er nur in der richtigen Weise für sich nutzen mußte. Hier gehört sicher auch die Vorstellung von der Wyrd hin, vom Verflochtensein aller existenten Dinge, so daß man das ganze Netz bewegen kann, wenn man an einem Ende (bildlich gesprochen) zieht.
Hasenfratz erklärt das Funktionieren von Magie ähnlich:
"Die Möglichkeit von Magie basiert auf der Annahme, 'die Welt, in der wir leben',
der (soziale und natürliche) Kosmos sei ein Organismus, eine 'sympathetische Empfindungsgemeinschaft'
(nach K. E. Müller, Sympathie, in: Zs. f. Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 37 (1995)):
was einem Teilglied, einem 'Organ' widerfährt, 'affiziert instantan alle anderen mit'. Daraus
leiten sich die Grundregeln magischen Handelns ab: Der Teil ist wesensmäßig mit dem Ganzen verbunden
(pars pro toto), Name und Wort mit dem von ihnen Benannten (Wortmagie), ein Bild mit dem von ihm Abgebildeten
(Bildmagie), Schrift oder Zeichen mit dem damit Bezeichneten (Schrift- oder Zeichenmagie), Ähnliches mit
Ähnlichem (similia similibus), Imitat mit dem von ihm Imitierten (Wiederholungsmagie), Berührendes mit dem
von ihm Berührten (Kontaktmagie), Stellvertretendes mit dem von ihm Vertretenen (Stellvertretungsmagie),
die Folge mit dem Grund (Inversionsmagie) u.a.m. 'Arrangiert' der Magier das erste - dann hat er Macht
über das zweite ..."
Hasenfratz
Magie = Seiðr
Ein häufiges Mißverständnis heutiger germanischer Heiden hat Kurt Oertel aufgeklärt: Mit Seiðr ist jede Art von Magie gemeint, nicht nur weibliche, paraschamanische Magie oder gar Weissagung. Dieses Mißverständnis beruht v.a. auf der Ynglinga-Saga, wo zum einen erwähnt wird, daß Freya dem Odin Seiðr beibrachte und daß Odin durch diese 'weibliche Magie' in die Zukunft schauen könne. Oertel widerlegt dies in seinem Text und kommt zum Schluß, daß jede Art von Magie (auch Runenmagie) Seiðr ist! Seiðr wiederum hat mit Weissagung (Völventum) nichts zu tun. Das wird auch in der kürzeren Seherinnenrede (Völospá in skamma 5) so gesagt, wenn darauf hingewiesen wird, daß alle Seherinnen (Völven) von Viðolfr abstammen, alle Seið-Kundigen aber von Svarthöfði (nach Oertel).
Männer wie Frauen konnten Magie ausüben, die einen hießen seiðmaðr, die anderen seiðkona. Das Wort Seið ist entweder mit "sieden" verwandt oder es bedeutet "singen / sprechen". Meist wird es einfach mit "Zauber" wiedergegeben. Das Verb heißt "seiða", zaubern.
In einem amerikanischen Asatru-Einführungswerk wird Seidh so definiert: "a quasi-shamanic style of oracular trancework", wobei ich bei "oracular" doch eher an Spá denken würde. Hier wird aber wieder die Beziehung Seidhr - Schamanismus aufgebaut, die doch nach wie vor noch sehr verankert ist in der heidnischen Szene. Ich schreibe zum Thema Schamanismus (und Seidhr) etwas auf dieser Seite.
Formen
Die spezielle Form der Runenmagie wird auf einer eigenen Seite beschrieben.
Zaubergesänge (seið-læti, galdr) sind ebenfalls kurz auf der Seite zur Runenmagie angeführt. Fraglich ist, ob sie immer und zwingend mit Runen(magie) verknüpft waren. Paxson nennt folgende Unterarten des galdr: Val-galdr (Toten erwecken, um sie zu Antworten zu bewegen), gro-galdr (Beschwörungsformel, um eine Wesenheit zum Antworten zu zwingen), natt-galdr (Nachtgesang, um nächtliche Geister zu kontaktieren), lirla-galdr (Schlafzauber), nid (Fluch bzw. Anrufung von Geistern, die einen Feind angreifen sollen).
Da wäre z.B. das Umschreiten eines Platzes in Richtung des Sonnenlaufs. Das soll den Platz von der Außenwelt abtrennen, was z.B. bei der Durchführung von Ritualen geschieht. Man kann den Platz (das vé) auch mit Haselstöckchen abstecken (vébönd).
Der Rasengang ist ein Ritual, das beim Abschließen von Blutsbrüderschaft durchgeführt wurde. Man hob ein Stück Rasen soweit an, daß es noch mit der übrigen Erde verbunden blieb, aber daß man dennoch hindurchkriechen konnte. Dieses Hindurchkriechen sollte den symbolischen Tod bedeuten, wonach man als "Brüder" wiedergeboren wurde.
Die Niðstöng (Schadenzauber) ist eine Stange, auf der ein Pferdekopf angebracht wird, der in Richtung eines zu verfluchenden Feindes weist. Dieser Brauch ist jedoch erst aus einer Saga des 13. Jahrhunderts belegt. Der Begriff gand steht allgemein für einen Zauberstab bzw. die Praxis, einen solchen Stab zu magischen Zwecken zu benutzen.
Nacktheit (Fruchtbarkeitszauber) hatte laut
de Vries ebenfalls eine
magische Bedeutung für die Germanen. Ihr wurde eine abwehrende und schützende Kraft
zugeschrieben. Jemand, der Weissagung betreiben wollte, sollte sich nackt ausziehen. De Vries
erwähnt auch, daß ein Bauer das Feld nackt bestellen sollte, damit die Saat gut
gedeiht. (Es wurde dann vermutlich das erste Saatgut auf diese Weise ausgebracht, während man
später wieder bekleidet weiterarbeitete.) Heute noch findet man Nacktheit zu Barfüßigkeit
abgemildert in Ritualen der Heiden. Nacktheit war wohl auch bei verschiedenen Festen im
Jahreskreis wichtig, so z.B. zur Wonnenacht.
Ein guter Artikel zu diesem Punkt ist das Kapitel 'Worship of Fertility' bei
Doreen Valiente.
Umzüge (auch Wetterzauber) habe ich schon mehrfach auf diesen Seiten erwähnt, so z.B. beim Nerthusumzug, den Tacitus schildert, oder auf der Seite über Kultprozessionen. Ich denke aber, daß es sich hierbei aber eher um ein religiöses Ritual handelt.
Verbrennen bedeutet, Dinge in einen anderen Zustand zu überführen, wo sie dann entweder wirksamer oder eben genau das Gegenteil sind. Man kann z.B. ungewünschte Dinge / Energie verbrennen, indem man sie in ein Stück Holz ritzt, das man in die Flammen wirft. Genau anders herum funktioniert es auch: Ein Wunsch wird auf ein Papier geschrieben, das verbrannt wird. Der Wunsch wird durch das Feuer transformiert und soll in Erfüllung gehen.
Brauen von Zaubertränken, Einsatz bestimmter Kräuter oder Gifte. (Liebes-, Fruchtbarkeits-, Gesundheitszauber)
Archäologische Hinweise
Vereinzelt finden Archäologen Überreste, die sich schwer interpretieren lassen. Dazu gehört z.B. ein Bronzegefäß aus dem Grabhügel Maglehøi (1000 - 800 v.d.Z.) in Seeland, Dänemark, das folgendes enthielt:
- Zerbrochene, abgenütze Pferdezähne
- Wieselknochen
- Klauenglied eines Luchses
- Wirbelknochen einer Natter
- Teil der Luftröhre eines Vogels
- Knochen
- Rest eines Ebereschenzweiges
- Schwefelkies
- Kohle
- Bronze
Die Liste könnte auch einem "indianischen Medizinbeutel" entstammen, was auch für ein weiteres seeländisches Grab gilt, das von Lyngby:
- Natterschwanz
- Falkenklaue
- Muschel aus dem Mittelmeergebiet
- Pfeilspitze aus Feuerstein
- Stück einer Bernsteinperle
- Unterkiefer eines Eichhorns
- einige Steinchen in einer Blase
Diese Aufzählungen können Magie nicht beweisen, aber es ist durchaus vorstellbar, daß diese Utensilien von einem Magier / Heiler benutzt wurden.
Eine heute noch verbreitete Ansicht über Magie, daß sich Eisen (-werkzeuge, -waffen) und Magie ausschließen, kann man auch in eine Inschrift des Steins von Eggjum (Westnorwegen, 8. Jhd. n.d.Z.) hineindeuten: "Die Sonne schien nicht darauf und der Stein wurde nicht mit Eisen bearbeitet" - also eine nächtliche Arbeit ohne Eisenwerkzeuge.
Und wenn es um solche Artefakte geht, ist auch die Meldung interessant, daß die Wikinger steinzeitliche Objekte 'verehrten'. Sie trugen sie mit sich oder legten sie in Gräber. Auch für frühere Zeitabschnitte haben man in den skandinavischen Ländern entsprechende Hinweise gefunden.
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!