Haithabu
"Schleswig ist eine sehr große Stadt am äußersten
Ende des Weltmeeres. In ihrem Innern gibt es Quellen süßen Wassers.
Ihre Bewohner sind Siriusanbeter, außer einer kleinen
Anzahl, welche Christen sind, die dort eine Kirche besitzen."
At-Tartûschi, 965 u.Z.
Haithabus Bedeutung
Der noch heute sichtbare, ca. 1,3 km lange Halbkreiswall am Ufer der Schlei
beherbergte einst einen der wichtigsten Handelsplätze der
Wikingerzeit.
Haithabus Bedeutung lag darin, in einem Zeitalter zu erblühen,
in dem die Schiffahrt eine überragende Triebfeder des Handels war.
Es wurden Handelskontore an wichtigen Knotenpunkten der Seerouten
gebraucht. Wer aus der Ostsee in die Nordsee wollte, fuhr also
die 40km lange Schlei aufwärts bis ins Haddebyer Noor vor
Haithabu, zog das Schiff ca.
16km über Land und setzte es wieder in Treene oder Eider ein. So
ersparte man sich das Umsegeln der jütländischen Halbinsel.
Archäologie in Deutschland meldete am 17.6.2002, daß man
zwei bedeutende Schiffslandeplätze bei Grabungen am Ufer der Treene entdeckt habe. Dies seien
Nordseehäfen Haithabus gewesen, an denen Güter aus Westeuropa angeliefert und solche aus dem
Osten abgeholt wurden. Man fand am Grabungsort feine Tongefäße und Tuffsteinquader, offenbar für
den Bau der ersten, christlichen Steinkirchen im Bereich der Küsten.
"Haithabu ... ist unbestritten der bekannteste und am häufigsten
genannte Handelsplatz der Wikingerzeit."
Régis Boyer
Haithabus Name
In den skandinavischen Quellen ist von "heithabyr" (= Heideort = Hedeby)
die Rede, während fränkisch / sächsische Quellen von "sliaswich" / "sliaswic"
oder "sliesthorp" sprechen, was Schleisiedlung bedeutet und
noch im heutigen Schleswig weiterlebt. Jahnkuhn vermutet,
daß Haithabu und Schleswig nur zwei verschiedene Namen für dieselbe Siedlung sind.
Nachtrag 2012: Dänische Archäologen glauben, das in den fränkischen Annalen erwähnte
Sliastorp entdeckt zu haben - in der Nähe von Haithabu bei Füsing. Bereits 2010 machte die Nachricht die Runde, daß
dort eine ungefähr
100 Jahre ältere Siedlung gefunden worden sei, die aus ca. 100 Häusern bestand [http://www.shz.de/nachrichten/top-thema/article//sensation-wikingerstadt-ausgegraben.html].
Mittlerweile ist man bei 200 Häusern angekommen und der Vermutung, es handele sich um das in den fränkischen Annalen beschriebene
Sliastorp. Somit wären die beiden Siedlungen
nicht identisch. Sliastorp soll zwischen ca. 700 und 1000 u.Z. von einer "Viking elite" bewohnt
gewesen sein und als "military strategic centre" gedient haben (Quelle).
Ob es stimmt, daß Händler und Handwerker Haithabu besiedelten, während die kriegerische und religiöse Elite sich in Sliastorp aufhielt,
bleibt anhand der neuen Funde noch zu klären.
Das erste Mal wird Haithabu in den Fränkischen Reichsannalen erwähnt.
Dort wird berichtet, daß im Jahre 804 der dänische König Göttrik mit
einer Flotte und einem Heer nach Haithabu kam. Man vermutet, daß Haithabu um 770 als
friesischer Handelsplatz angelegt wurde.
Die letzte Erwähung stammt von 1066. In diesem Jahr sei Haithabu von einem
slawischen Heer zerstört worden. Über die Hintergründe des Untergangs
der Stadt ist noch wenig bekannt. Boyer schreibt dazu
"Die Stadt kann als typisches wik gelten, das weitgehend vom Fernhandel abhängig war und daher mit dem Versiegen des arabischen Geldstroms seine Existenzgrundlage verlor."
Die wechselnde Herrschaft über Haithabu faßt das Ringhorn 37/38 (des Verein für Germanisches Heidentum) gut zusammen:
"Um etwa 900 schafften es die Schweden, die Stadt den Dänen abzunehmen, 934 eroberte sie Heinrich I., beließ sie aber unter schwedischer Führung, und 974 wurde sie dem deutschen Reich eingegliedert - nur kurz, denn schon 983 brachte Sven Gabelbart Haithabu wieder unter dänische Kontrolle. Kurz nach 1000 schließlich griff Harald der Harte von Norwegen die Stadt an und brannte sie nieder. Was wieder aufgebaut wurde, machten 1066 die Slawen dem Erdboden gleich."
1979 wurde ein ca. 30m langes Kriegsschiff aus dem Haddebyer Noor geborgen, das ca. 50 Mann Besatzung gehabt haben muß und nur einem König oder zumindest reichen Herrscher gehört haben kann. Sinnigerweise zeigen Brandspuren an diesem Schiff, daß es evtl. brennend gegen die Hafenpalisaden getrieben wurde und so Haithabus Untergang durch Feuer einleitete. Das Holz des Schiffes wurde auf das Jahr 1066 datiert ...
Die Stadt wurde aufgegeben, Schleswig wurde neues Zentrum dank Bischofssitz und Königspfalz.
Es ergeben sich immerhin mehr als 250 Jahre Stadtgeschichte, die fast hundertprozentig mit den Eckdaten der Wikingerzeit übereinstimmen. H. Elsner schreibt dazu:
"Haithabu wurde im 9. Jahrhundert zu dem Platz im Norden Europas, an dem Menschen zuerst in einer stadtartigen Siedlung zusammenwohnten. Hier gelang es erstmals, den Übergang von den gewohnten ländlich dörflichen zu den neuartig städtischen Formen des Siedelns und Lebens zu vollziehen."
Haithabu - die Stadt
Aufgrund seiner Lage kann man Haithabu als den zentralen Handelsplatz im nördlichen Europa des 9. und 10. Jahrhunderts bezeichnen. Eine andere frühe, aber vermutlich nicht so bedeutsame Wikingerstadt war Birka in Schweden.
Haithabu hatte zu seiner Blütezeit vermutlich um die 1000 Einwohner, die
sich aus Friesen, Sachsen, Franken, Dänen, Schweden und Slawen zusammensetzen,
wobei Handwerksberufe dominierten.
Bis auf eine Zeitspanne von ca. 50 Jahren war Haithabu unter dänischer Herrschaft.
Ein vom dänischen König eingesetzter Wikgraf wohnte in der Burganlage auf dem
kleinen Hügel außerhalb der Stadt.
Was die Religionen angeht, so waren hauptsächlich polytheistisch-heidnische
vertreten. Aber schon 850 wurde eine christliche Kirche errichte, ab 948 war
Haithabu Bischofssitz.
Die Stadt lag in einem erst im 10. Jahrhundert errichteten Halbkreiswall mit 3 Toren. Dieser Wall war ans ca. 30km lange Danewerk angebunden, hatte vermutlich Wehrgänge und war noch durch einen Vorwall gesichert. Der Hafen war mit Landungsbrücken ausgebaut und hatte auch eine im Wasser errichtete Holzpalisade. Die Siedlung scheint planmäßig angelegt worden zu sein, alle Knüppel- und Bohlenwege verlaufen rechtwinklig, der mitten durch das Siedlungsgebiet verlaufende Bach wurde begradigt und überbrückt. Es gab Brunnen verschiedener Typen in der Stadt und Waschstege am Bachufer.
Leben in Haithabu
Die Häuser hatten in der Regel 1 - 3 Räume. Im höhergelegenen Halbkreisbereich
wurden v.a. kleine einräumige Häuser gefunden, die unter dem Geländeniveau lagen, so daß
sie Kellerwohnungen ähnelten. Im Bereich nahe dem Hafen lagen v.a. Wohn-Stall-Häuser
mit 2 Räumen und die luxuriöseren Wohn-Stall-Gewerbe-Häuser mit 3 Räumen.
Die Häuser waren meist vom Typ des "Hallenhauses", bei dem die Wände
das Dach stützen. Meist verwendete man für die Wände Spaltbohlen aus Eichenstämmen
oder aber die vermutlich billigere Variante aus Flechtwerk. Abgedichtet wurde mit
Lehm. Das Dach war mit Schilf oder Reet gedeckt.
Zentral im Haus lag der Herd, der auch als Licht- und Wärmequelle diente. Oft verfügten die Häuser auch über einen Backofen. Insgesamt war die Einrichtung sehr karg. Es gab Erdbänke als Sitz- und Schlafgelegenheit und Truhen und Kisten zum Aufbewahren der Habseligkeiten. Die Schlüssel dazu verwahrte die Hausherrin. Auf dem Boden lagen Flechtmatten, die aber noch mit einer Sandschicht belegt waren. Töpfe waren entweder aus Keramik oder norwegischem Speckstein. In Haithabu wurden auch Getreidemühlen aus Eifeler Lavagestein gefunden.
"Die eisige Luft steht still. Es riecht nach dem Kot von Tieren
und Menschen, nach Abfällen, den Ätzbädern der Gerber, den Brühen der Färber. Beißender
Qualm von brennendem Mist und Torf wabert durch das Gängeviertel. Langgestreckt stehen die
Hütten auf schmalen Parzellen, von niedrigen Flechtzäunen getrennt. Und von einem Bachbett,
in dessen Brackwasser abgenagte Knochen und Heringsgräten verfaulen - und
wohinein man sich hockt, der Notdurft willen."
Geo 10/1997
Tod in Haithabu
Grabfelder sind innerhalb und außerhalb des Halbkreiswalls von Haithabu
belegt. Außerhalb finden sich kleine Hügelgräber auf der Hochburg und
ein Sarggräberfeld an deren Fuß. Das größte Gräberfeld liegt genau südlich
des Stadtwalls, in dessen Nähe auch das Bootkammergrab, ein an Beigaben reiches
Männergrab, gefunden wurde. Besonders bekannt ist es allerdings wegen des
seetüchtigen, 18m langen Kriegsschiffs, das über der Grabkammer im Hügel stand.
Innerhalb der Stadt lagen ein Körpergräberfeld und ein Kammergräberfeld. Man
fand allerdings auch einzelne Körpergräber zwischen den Häusern im
"Stadtzentrum". Insgesamt werden die Gräber in und um Haithabu auf
ca. 12000 geschätzt.
Grabbeigaben finden sich in Form von Waffen oder Nahrungsmitteln sowie Schmuck. Es wurden jedoch auch Hunderte von Gräbern ohne jede Beigabe gefunden, was auf die breite Armenschicht in der Stadt hindeuten kann. Soche Gräber aus der Zeit nach der Einführung des Christentums sind jedoch als Gräber von Christen zu deuten.
Eines der reichsten Gräber ganz Skandinaviens (was den Edelmetallwert angeht) ist das Kammergrab einer Frau auf dem Südgräberfeld. Sie trug ein golddurchwebtes Kleid, silberne Spangen und 3 goldene Anhänger.
Haithabu - Waffen, Kleidung, Schmuck
An Waffen wurde in Haithabu fast alles gefunden, was für die Wikingerzeit charakteristisch ist. Im Fundmaterial gibt es mehr als 40 Schwerter, die wohl aber nur im Besitz reicher Menschen waren. Meist wurde neben dem Schwert noch ein Speer verwendet, der als Allzweckwaffe zum Angriff und Parieren diente. Die Hauptwaffe - vermutlich auch des einfachen Bauern - war die Axt. Als Fernwaffe dienten Langbögen aus Eibenholz. Ein gefundenes, 1,95m langes Exemplar hat eine Zugkraft von immerhin 45kg! Als Schutz benutzte man die typischen Rundschilde.
Kleidung aus Wolle oder Leinen wurde gefertigt, indem man sich Handspindel und Hoch- oder Trittwebstuhl bediente. Grundsätzlich war Kleidung schichtabhängig. Die einfachen Menschen trugen grobe Kleider, Hosen, Hemden und Umhänge, während reiche Personen feine Gewebe besaßen, die verziert und gefärbt waren. Für diese Schicht gab es auch schon daunengefüllte Anoraks.
Schmuck war sehr gefragt. Männer wie Frauen verwendeten Spangen oder Fibeln, um ihre Kleidungsstücke zu schließen. Frauen trugen auch Halsketten bzw. Ketten, die die Spangen verbanden. Die einzelne Ringfibel war das charakteristische Schmuckstück der Männer.
Ein Beschreibung der Ernährung, in die auch Funde aus Haithabu eingeflossen sind, findet sich hier.
Haithabu und der Handel
"Der Leser wird mit Erstaunen vernehmen, daß es vor allem Sklaven waren,
Männer, Frauen und Kinder, die [die Wikinger] während ihrer Fahrten gefangengenommen
oder an auf den Sklavenhandel spezialisierten Orten gekauft hatten. ...
Es gilt als gesichert, daß der Handel mit Sklaven in Haithabu eine große Rolle
spielte und daß die Stadt sich zu einem der großen Sklavenmärkte des Abendlandes
entwickelte."
Régis Boyer
Man vermutet heute auch, daß der Maure At-Tartûschi wegen eben diesen
Sklaven nach Haithabu kam. Denn die Wikinger hatten Christen-Sklaven, die sich natürlich
schlecht an andere Christen verkaufen ließen. Somit waren sie interessant für die
arabischen Märkte. 4 Frauen entsprachen 820g Silber in Haithabu (zum Vergleich: für die
Herausgabe des gefangenen Erzbischofs von Canterbury wurden 12 Tonnen Silber verlangt).
Natürlich wurde auch mit "konventionelleren" Gütern gehandelt, dies waren
Walross-Elfenbein (Nordsee), Eisen (Schweden), Speck- und Wetzsteine (Norwegen), Glas und Keramik (Rheinlande),
Mühlsteine aus der Eifel, Kiefernholzfässer vom Oberrhein, Bergkristall und Karneolperlen von
der Schwarzmeerküste, Quecksilber aus Spanien, Bernstein / Holzteer (Ostsee), Schmuck aus Irland, Gotland
und dem Baltikum (Aufzählung nach Willemsen)
Haithabus Bedeutung kann man auch daran ersehen, daß die ersten skandinavischen Münzen dort geprägt wurden und zwar um das Jahr 800 herum.
"Im Super-Markt auf der grünen Wiese gibt es Walroßelfenbein aus
Grönland; Basaltmühlsteine aus der Eifel; Speckstein aus Norwegen; Bernstein aus
dem Baltikum; Eisen aus Schweden; Tuche aus Friesland; Töpferware und Schwerter
aus dem Rheinland ..."
Geo 10/1997
"Wovon lebten nun die Menschen in Haithabu, Nordeuropas florierendem
Marktplatz? 'In erster Linie vom Mangel', sagt Schietzel überraschend und nennt Haithabu
auch 'eine ökologische Katastrophe'. Innerhalb dreier Generationen hätten die Siedler ihre
Umgebung kahlgeholzt, bis nichts mehr blieb als Heide. Das Wild emigrierte, und der
Boden war bald zu ausgelaugt, um noch reiche Getreideernten hervorzubringen. Ohne die
Versorgung von Bauern jenseits des Stadtwalls, ohne den Nachschub der Frachtsegler wäre
Haithabu wohl bald verhungert."
Geo 10/1997
Die Verbindung mit dem Rheinland lief übrigens über den Heerweg, eine Schneise durch den damaligen Urwald.
Haithabu in moderner Zeit
Die Ausgrabungsgeschichte möge man bitte in den Quellen nachlesen. Hier nur
soviel: Der Ort, an dem das historische Haithabu lag, war über die Jahrhunderte
völlig in Vergessenheit geraten. 1897 jedoch glaubte der dänische
Archäologe S. Müller, daß der Halbkreiswall, den man dem Danewerk zugerechnet hatte,
tatsächlich die Stadt Haithabu beherbergt haben muß. Und er hatte Recht.
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden ca. 5% des Stadtareals und 1% des Hafens systematisch
untersucht. Das klingt nach wenig, aber schon hier erhielten die Archäologen tausende
von Fundstücken.
Es gäbe noch viel mehr über Haithabu zu erzählen, z.B. über die gefundenen Runensteine, die Schiffswracks oder genauere Beschreibungen der Handwerkskunst. Dazu verweise ich aber auf die Fachliteratur.
Die Fotos wurden im faszinierenden Wikingermuseum bei Haithabu gemacht. Sehr lohnenswert!
1200 Jahre Haithabu - 804 - 2004 u.Z.
Am ersten Wochenende des Heuert im Jahre 2004 u.Z. fand ein außergewöhnliches Fest in Haithabu statt, zu dem ein großes Wikingerlager veranstaltet wurde. Hier ein paar fotografische Impressionen:
Wikingerhäuser
Zwischen 2005 und 2008 wurden (bzw. werden noch; das 7. Haus soll im Brachet 08 eingeweiht werden) 7 Häuser der einstigen Stadt originalgetreu nachgebaut - inkl. Wegen, Zäunen und einer Schiffslandebrücke. Die Häuser sollen dann Handwerk und Alltag der historischen Stadt präsentieren. Die folgenden Fotos geben den Bauzustand Sommer 2007 u.Z. wieder:
Neugestaltung des Museums (2010)
Auf der Webseite des Museums [schloss-gottorf.de/haithabu] ist zu lesen: "Pünktlich zum 25jährigen Bestehen investierten das Land Schleswig-Holstein und die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf knapp zwei Millionen Euro für die neue Präsentation der Wikingerkultur."
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 22.08.2020 | Urheberrecht beachten!