Utiseta
Einführung
Utiseta meint das "Draußensitzen". Ginge es dabei nur um entspanntes
Sich-in-der-Natur-Aufhalten, hätte der Begriff sicher keine große Bedeutung erlangt - er
muß mehr bedeuten.
Im Gulaþing Gesetz heißt es: "útiseta at vekja troll upp",
was "Draußensitzen um Trolle (von den Toten) aufzuwecken" meint. Es scheint sich dabei
also um eine (hier mit einer pejorativen Konnotation verbundene?) Aktivität zu handeln,
die in Richtung Magie / Seiðr
geht und den Kontakt zu einer Art Geisterwelt herstellen will.
Als ich das erste Mal von Utiseta las, fiel mir sofort der Buddha ein. Von ihm wird berichtet,
wie er nach langer Meditation in Bodh Gaya unter einem Feigenbaum sitzend die Erleuchtung erlangte.
Als nächstes fiel mir der sogenannte "Buddha-bøtte" (Buddha-Eimer) aus dem auf 834 u.Z. datierten
Schiffsgrab von Oseberg ein. Der Henkel dreht sich in den Köpfen zweier kleiner Figuren, die
große Ähnlichkeit mit asiatischen Buddhadarstellungen haben
(s. Text von Oertel / Keth).
Ob es sich um eine einheimische Arbeit handelt, ist umstritten; ein Import aus Asien wird aber
ausgeschlossen (anders bei der Buddha-Statue aus Helgö bei Birka,
die ihren Weg aus Nord-Pakistan nach Schweden gefunden hat!).
Für eine einheimische Arbeit sprechen die Verzierungen, die wie stilisierte Hakenkreuze
aussehen und eine traditionelle Kunstform darstellen.
Interessant ist, daß auch der Kessel von Gundestrup den keltischen Gott Cernunnos
in (lotussitz-)ähnlicher Haltung zeigt.
Wie uns die Überlieferung des Völventums zeigt,
hatten auch die germanischen Völker Trance-Techniken entwickelt.
Mir erscheint Utiseta als die sehr persönliche Visionssuche, als eine Form
nordischer Versenkungsübung.
Es scheint aber auch im Gegensatz zur buddhistischen Versenkung zielgerichtet gewesen zu sein,
also eine bewußte Reise, um Wesenheiten in einer anderen Welt zu kontaktieren.
Das ist auch für Seiðr charakteristisch, wenn es
z.B. um das Erwecken einer toten Seherin mittels eines Zauberliedes geht, damit sie Auskunft gebe (Baldrs Draumar).
Wer also draußen saß und sich versenkte, konnte vermutlich Tote oder andere Wesenheiten
kontaktieren (warum man Tote kontaktieren konnte, steht auf meiner Seite über die germanischen
Todesvorstellungen). Utiseta wurde z.B.
auch auf Grabhügeln betrieben.
Vom Gesagten ausgehend muß man sich vorstellen, daß folgendes zu Utiseta gehörte:
entspannte Sitzhaltung, Atemkontrollübungen, Trancezustand, Konzentration des Geistes,
Visualisierungen, Anrufungen / Beschwörungen
(im Geiste). Utiseta kann eventuell verschiedene Zwischenstufen von 'tiefer Nachdenklichkeit' bis 'intensive
Meditation' haben und wohl vom zeitlichen Umfang her stark variieren.
Gundarsson schreibt, daß die
Sauna ein hervorragender Ort sei, um ein
"soul-faring" durchzuführen. Dieses soul-faring ist das Aussenden
des Geistes / der Seele außerhalb des eigenen Körpers, ein Konzept, das mit dem
Begriff "hugr" verbunden wird.
Ich möchte noch einmal betonen, daß für mich der Unterschied zwischen Utiseta und
Seiðr in der Privatheit des ersteren liegt. Utiseta hat meditativen Charakter, während
Spá-Rituale (wie z.B. von der Hrafnar-Gruppe
durchgeführt) auch in der Form von 'öffentlichen Befragungen' einer Seherin abgehalten
werden können. Etwas provokanter formuliert: Spá ist mehr 'Show', während
Utiseta persönliche Visionssuche ist.
Bezüglich der Abgrenzung zwischen Seiðr-Magie und Völventum würde ich sagen, daß Utiseta eine Art Mittelstellung einnimmt, aber doch eher zur Weissagung tendiert.
"The traditional rite of sitting out (Ice. útiseta) is an act of
seith for making contact with your own personal warden or fetch and for gaining ongoing interaction
with it ... Útiseta is a kind of shamanic vision quest working. This type of working
can be undertaken for a variety of magical purposes."
Edred Thorsson
Praxis
"Such is not to say that Scandinavian men were not involved
in either divination or manipulative magic. The male diviner -
spámaðr - figures frequently in the sagas, and an isolating,
private ritual (útiseta, "sitting out") appears
favored among male practitioners."
Th. A. DuBois
Wichtiger Hinweis:
Eine Utiseta-Sitzung kann - wie jede Versenkungsübung - psychische Probleme hervorrufen, um
es mal ganz allgemein auszudrücken. Ich bitte darum, solche Übungen vorsichtig durchzuführen
und am besten eine Person mitzunehmen, die in der Nähe wartet. Es ist sehr sinnvoll, vorher schon
einmal Atemübungen gelernt zu haben oder auch geführte Pfadarbeiten gemacht zu haben.
Für etwaige Probleme / Schäden kann ich keine Haftung übernehmen.
Man beginnt mit den üblichen Vorbereitungen eines Rituales, also dem Aussuchen und Säubern des Platzes, der persönlichen Vorbereitung und Reinigung, Erdungs- und Zentrierungsübungen und der Bitte um Donars Schutz. Hinweise dazu finden sich auf der Seite über das Blot.
Dann beginnt der eigentliche Utiseta-Teil. Hilfreich kann es sein, über grundlegende Fähigkeiten im Autogenen Training zu verfügen. Dazu setzt man sich hin und schließt die Augen. Man konzentriert sich auf die Naturlaute und versucht, den Ort im Geist zu sehen (sich selbst eingeschlossen, wie man an der ausgewählten Stelle sitzt). Es geht darum, die Naturstimmung zu fühlen und sich als Teil dieses Ortes und der Natur zu empfinden. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt hier auf der Außenwelt.
Nun richtet man diesen Fokus nach innen, was man am besten durch Atemübungen oder generell durch die Wiederholung der Erdungs- und Zentrierungsübungen aus der Vorbereitung erreicht. Atemübungen können vielfältig variiert werden, man zählt z.B. die Atemzüge im Geiste mit oder man denkt sich "eeiinnnn" / "aauussss". Man kann sich auch auf den Weg der Luft konzentrieren, wie sie von den Nasenflügeln durch die Luftröhre bis hinab in die Lungen geht - und entsprechend zurück beim Ausatmen. Das zentriert den Geist. Dadurch erreicht man eine Vertiefung der Entspannung aus der Vorbereitungsübung. Es ist sinnvoll, hier im Geiste die Runen Ansuz und Raidho zu intonieren, deren Lautwerte man zu "aarrr" zusammenzieht. Man könnte sich diese Runen auch auf den Körper malen oder ähnliches. Außer den Runenlauten sollte der Geist von nichts anderem erfüllt sein.
Dann ändert sich der Fokus wieder und geht von der Innenwelt wieder zur Außenwelt zurück (nur hörend, fühlend, ohne die Augen zu öffnen). Als Übergang spricht man im Geiste ein komplettes Futhark. Der Fokus sollte aber jetzt eine andere Qualität haben. Idealerweise sind nämlich die Grenzen zwischen Außenwelt und Innenwelt, also zwischen Persönlichkeit und Natur verwischt bis aufgelöst. Mehr als sonst wird man sich als Teil des Ganzen bzw. sich losgelöst vom Körper fühlen - ein Gefühl der Schwerelosigkeit, das man nun nutzt, um seinen Geist vom Körper "wegzubewegen".
Anfänger sollten in dieser Stimmung verweilen und warten, ob sie eventuell den "Hüter der Schwelle" treffen oder einen spirituellen Begleiter. Diese Realität ist nah am schamanischen Bewußtseinszustand. Wesenheiten, die man trifft, sollte man ruhig und bestimmt ansprechen. Wichtig ist, daß man bei den ersten Versuchen ein bestimmtes Gefühl, das aufkommen kann, unterdrücken sollte: nämlich das Gefühl, daß sich die Bewußtheit vom stofflichen Körper wegbewegt. Gundarsson warnt: "... always set up wards before you go; put another layer of warding around yourself as soon as you are out of your body; go fully armed; and be ready to snap back to yourself at the first sign of trouble. Most of all, if you can possibly manage to do so, have a sober (non-tranced or only lightly tranced) partner who can keep an eye on your bodily and psychic state, get you back, and ground you."
Fortgeschrittene aber wollen meist genau dies erreichen. Die Bewußtheit wird sich lösen, man
kann dann z.B. erleben, wie man in der Erde versinkt oder von seinem Sitzplatz aus nach oben
steigt (OOB - Out of Body Experience).
Mythologisch gesehen ist es so möglich, die verschiedenen Welten
zu bereisen. Reist man z.B. zu Hel, kann man versuchen,
von Verstorbenen Informationen zu erhalten, wie auch auf der
Seiðr-Seite besprochen.
Um dieses Hinabsinken zu unterstüzen, kann man die Runen
Uruz
oder Othala im Geist intonieren. Wichtig ist, daß man,
insofern man einen Zaun sieht, dort stehenbleibt und ihn nicht durchschreitet. Es kann sich dabei um
Helgrind (Snorri, Gylf 49) handeln, den Zaun, der Hel umgibt. Tote, die durch diesen Zaun nach
Hel gekommen sind, können Hel nicht wieder verlassen, weswegen Hermod mit seinem Hengst
einfach über den Zaun springt.
Für manche mag diese Ausführung lächerlich klingen, aber sie ist als Warnung gedacht.
Es ist auf jeden Fall sehr hilfreich bis unentbehrlich, gute Informationen über die nordische
Mythologie zu besitzen, damit man weiß, mit wem man es zu tun hat.
Persönliche Episode dazu <g>: Mir ist einmal ein
Krokodil begegnet, was mich sehr verwundert hat, da ich zu diesen Echsen
keinerlei besondere Beziehung habe. Ich sprach es an, stellte mich vor.
Es stellte sich vor als "Angrboda", also die Riesin, mit der
Loki den
Fenriswolf (und Midgardschlange / Hel) zeugte. Das verwunderte mich natürlich,
da Angrboda mit Krokodilen nichts zu tun hat, aber passend ist diese Analogie schon.
Leider konnte ich die Situation nicht weiter klären.
Eine als Utiseta bezeichnete Technik der Runenmeditation wird in einer Broschüre des VfGH vorgestellt.
Auch Edred Thorsson gibt in seinem Buch Northern Magic
eine Utiseta-Anleitung. Er schreibt einleitend: "Útiseta is a kind of shamanic vision
quest working. This type of working can be undertaken for a variety of magical purposes. But here
we will explore its use as a way to get in touch with your personal fetch animal."
Noch einmal etwas anderes ist das Gestaltwandeln, dessen Ausgangspunkt wohl auch die oben beschriebene Vorgehensweise ist. Diese Kunst wird in den Mythen Odin zugeschrieben. So heißt es in der Ynglinga-Saga: "Odin could change himself. His body then lay as if sleeping or dead, but he became a bird or a wild beast, a fish or a dragon, and journeyed in the twinkling of an eye to far-off lands, on his own errands or those of other men." [Monason transl.]
Seiteninfo: 1.Autor: Stilkam | 2.Autor: ING | Weitere Autoren: - | Stand: 20.03.2020 | Urheberrecht beachten!